Hat mein Pferd Schmerzen?
Als Fluchttier ist das Pferd ein wahrer Künstler, seine Schmerzen zu verstecken. Denn wenn es in der freien Wildbahn Schmerzen zeigen würde oder gar Schmerzlaute äußern würde, wäre der Feind nicht weit und das Pferd würde ihm zum Opfer fallen. Pferde leiden still.
Gerade deshalb ist es für uns Pferdebesitzer oft so schwierig, Schmerzen bei unserem Pferd wahrzunehmen. Die kleinen Signale eines Pferdes gehen im täglichen Umgang leicht unter und werden schlichtweg übersehen. Es ist allerdings von größter Bedeutung, dass Schmerzen frühzeitig erkannt und gedeutet werden können. Pferde sind äußerst sensible Wesen. Sie spüren jede Fliege auf der Haut und fühlen viel mehr, als die meisten Menschen. Ebenso empfinden sie Schmerzen. Sie jammern nur nicht (weil sie es nicht können) aber sprechen dennoch mit ihrer Mimik und Gestik eine eindeutige Sprache. Wir müssen nur lernen, sie zu verstehen.
Woran erkenne ich nun, ob mein Pferd Schmerzen hat?
Man kann allein durch beobachten Schmerzen beim Pferd erkennen. Geht ein Pferd lahm, nimmt es eine Schonhaltung ein oder verhält sich anders als üblich (auch beim Reiten), kann man davon ausgehen, dass etwas nicht stimmt. Zeigt das Pferd zudem noch Fressunlust oder steht apathisch in der Ecke, hat es starke Schmerzen. Hier sollte in jedem Fall ein Tierarzt herbeigezogen werden. Aber es gibt auch abgesehen von den gerade beschriebenen, eindeutigen Schmerzen, die ein Pferd unmissverständlich zeigt, auch schleichende oder chronische Schmerzen. Diese sind nicht so leicht erkennbar. Wenn man aber weiß, worauf man achten muss, versteht man sein Pferd besser und kann schneller tätig werden.
Das Schmerzgesicht eines Pferdes
1. Augen: Die Augen sollten rundlich, wach, glänzend sein. Hat ein Pferd Schmerzen, wirken die Augen oft dreieckig, das Lid wirkt vorne hochgezogen, hat eine verstärkte Muskelspannnung. Oft sind die Augen etwas verschlossener als sonst oder werden teilweise oder komplett geschlossen (bei starkem Schmerz). Der Blick wirkt nicht wach, sondern trüb und teilweise nach innen gekehrt. Auch zeichnen sich oft Falten am Augenlid oder über den Augen ab („Sorgenfalte“).
2. Kaumuskulatur: Die Kaumuskulatur eines Pferdes sollte weich sein und sich nicht abzeichnen. Spannt das Pferd die Kaumuskulatur aufgrund von Schmerzen an (Zähne zusammenbeißen), zeichnet sich diese extrem ab und tritt deutlich hervor. Sie wirkt bei Pferden mit starken Schmerzen fast rechteckig.
3.Maul / Nüstern: Normalerweise sollte die gesamte Maul- und Nüsternpartie des Pferdes entspannt und annähernd faltenfrei und rundlich sein. Hat das Pferd aber Schmerzen, werden die Lippen aufeinander gepresst, es entstehen Falten rund um das Maul. Oft liegt eine klare Betonung der Unterlippe vor (betontes „Kinn“) und das Maul wirkt eckig. Die Nüstern werden oft angespannt und hochgezogen, kräuseln oder erweitern sich, wenn ein Pferd Schmerzen hat. Auch wirken die Nüstern seitlich betrachtet abgeflacht.
4.Ohren: Bei einem entspannten Pferd sind die Ohren aufgerichtet, weisen entspannt nach vorn oder bei einem müden Pferd auch seitwärts. Sind die Ohren allerdings dauerhaft nach hinten oder seitlich gerichtet, kann dies ein deutlicher Hinweis auf Schmerzen sein.
5.Stirn: Die Stirn eines gesunden Pferdes ist entspannt und unauffällig. Zeigt ein Pferd allerdings eine verkrampft wirkende, zusammengezogene Stirnpartie, hat es wahrscheinlich Schmerzen. Oft wirkt der Gesichtsausdruck gequält und das Pferd erscheint älter, als es ist. Die Schläfen treten stark hervor.
An der Ausprägung lässt sich die Schmerzintensität ablesen.
Auch am restlichen Körper des Pferdes lassen sich Schmerzen ablesen: Steht das Pferd fest und verkrampft? Kann es sich vielleicht nicht geschlossen hinstellen? Entlastet es immer ein bestimmtes Bein oder eine ganze Körperpartie? Ist der Bauch hochgezogen oder aufgegast? Lässt sich das Pferd ungern an einer bestimmten Körperstelle putzen oder berühren? Hat es einen erhöhten Puls oder eine erhöhte Atemfrequenz (normal: Puls 28-40 Schläge/Min., Atmung 8-16 Züge/Min.)?
Natürlich spielt nicht nur das Gesicht oder der Körper des Pferdes eine Rolle bei der Schmerzerkennung, sondern auch sein Verhalten. Apathische, müde erscheinende, aber auch zu Aggressionen neigende Pferde haben sehr oft Schmerzen.
Eine Verhaltensänderung Ihres Pferdes sollte sofort kritisch beobachtet werden. Oft stecken Schmerzen dahinter.
Blickschulung
Nehmen Sie sich auch einfach mal die Zeit, verschiedene Pferde zu beobachten und laufen Sie mit offenen Augen durch den Stall oder über die Weide. Sie werden erstaunt sein, wie viel Sie an den Pferdegesichtern ablesen können.
Was kann ich gegen Schmerzen tun?
Wenn Sie nun ihr Pferd beobachtet haben und Schmerzen vermuten, Ihnen aber unklar ist, woher diese kommen könnten, ziehen Sie bitte einen Tierarzt zu Rate. Wahrscheinlich kommt dieser mit Hilfe seiner diagnostischen Möglichkeiten dem Schmerz auf die Spur.
Alternativ oder auch ergänzend zum Tierarzt können Sie einen geeigneten Therapeuten hinzuziehen.
Denn auch über die alternative Tiermedizin kann man sehr gut den Grund für die Schmerzen ausfindig machen. Stimmt etwas mit dem Bewegungsapparat nicht, ist es wichtig, die korrekte Statik des Pferdes zu überprüfen und ggf. wiederherstellen zu lassen. Dafür gibt es verschiedene Methoden (z.B. Chiropraktik, Dorntherapie, Physiotherapie, Osteopathie, etc.).
Auch die chinesische Medizin kann hier mit Hilfe der Akupunktur sehr gute Hilfe leisten. Mit dem Abtasten von verschiedenen Akupunkturpunkten kann der Therapeut nach der Ursache der Schmerzen suchen, diese aufspüren und direkt mit der Akupunktur behandeln.
Sollte die Schmerzbehandlung eine schulmedizinische Unterstützung in Form von Medikamenten oder bildgebenden Verfahren benötigen, wird Ihr Therapeut eine Kooperation mit einem Tierarzt vorschlagen. Eventuell muss auch der Schmied / Hufbearbeiter oder der Sattler mit einbezogen werden.
Wenn nun die Ursache für die Schmerzen gefunden wurde, das Pferd behandelt wird und alle Unstimmigkeiten (wie falscher Hufbeschlag/ falsche Hufbearbeitung, unpassender Sattel, schlechte Futterqualität, unpassende Haltungsbedingungen, Stress, etc.) beseitigt wurden, gibt es unterstützend noch sehr wirkungsvolle naturheilkundliche Mittel, die bei der Schmerzbehandlung gern und mit großem Erfolg eingesetzt werden (Kräuterheilkunde / Phytotherapie, Vitalpilze / Mykotherapie, Homöopathie, Schüsslersalze, Mineralien, etc.).
Welches Mittel hier gewählt wird, ist immer von der Ursache der Schmerzen und vom jeweiligen Pferd abhängig und sollte sorgsam ausgewählt werden.
Lassen Sie sich hierzu am Besten von dem Therapeuten Ihres Vertrauens oder Ihres Tierarztes eingehend beraten.
Erschienen in horseman-magazin.de, November 2020, S. 70-74
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